Rezept für 1 - Text
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. | Was hingegen die Sachertorte betrifft, so beharre ich auf meiner schon vor dem Gericht - oder, um gastronomischen Doppeldeutigkeiten vorzubeugen: vor dem Gerichtshof - gemachten Außage, daß die Original- Sachertorte zu Anna Sachers Lebzeiten in der Mitte _nicht_ durchgeschnitten und _nicht_ mit Marmelade gefüllt war; daß lediglich unter der Schokoladeglasur, um sie der Tortenmasse haltbar zu verschwistern, eine dünne Marmeladenschicht angebracht wurde; und daß die Torte in dieser originalen Form heute nicht von dem in andere Hände übergegangenen Hotel Sacher, sondern von der Konditorei Demel hergestellt wird, die das Rezept in den Dreißigerjahren von Eduard Sacher, dem letzten männlichen Sproß des Hauses, erworben hat. Mit dieser Außage bin ich im Lager der Verlierer. Denn das Oberlandesgericht hat jetzt als II. Instanz den seit vielen Jahren anhängigen Rechtßtreit zugunsten des Hotels entschieden und ihm das alleinige Recht zürkannt, die Bezeichnung »0riginal-Sachertorte« und das schokoladene Rundsiegel zu verwenden, indeßen Demel seine Sachertorte nur mit einem dreieckigen Siegel versehen und sie nur so bezeichnen darf, wie sie auf Grund eines längst zum Allgemeingut gewordenen Rezeptes von jedem Kochbuch bezeichnet wird, nämlich als »Sachertorte«. Der harte Schlag des zweitinstanzlichen Urteils verliert allerdings an Härte und Eindeutigkeit, wenn man die Urteilsbegründung näher betrachtet. Sie greift bis ins vorige Jahrhundert zurück - nicht ganz so weit, wie sie eigentlich müßte, nicht bis zu jenen frühen Tagen, da der Kocheleve Franz Sacher die Torte erstmals auf die Tafel des Fürsten Metternich brachte, aber doch bis zu den Anfängen der legendenumwobenen Glanzzeit des Hauses unter dem Regime Anna Sachers (1892-1930). Während der ersten und offenkundig längeren Phase dieser Glanzzeit wurde die Sachertorte weder durchgeschnitten noch mit Marmelade gefüllt. Der Wandel erfolgte - wie die Urteilsbegründung ausdrücklich und mit einer dem geschichtlichen Tatbestand angemeßenen Würde feststellt - »im zweiten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts«. Und damit ist, wofern »original« soviel bedeutet wie »ursprünglich« (was es ursprünglich zweifellos tut), doch wohl erwiesen, daß die Original-Sachertorte heute von Demel hergestellt wird. Das heißt: es wäre erwiesen, wenn Sprache und Logik zum Erweis genügten, wenn nicht auch die andre, die marmeladengefüllte Sachertorte den vertrackten Anspruch besäße, ein originales Sacher-Erzeugnis zu sein. Wie sie das wurde, wird ewig ungeklärt bleiben. Vielleicht geschah es wirklich erst gegen Ende jenes dehnbaren »zweiten Jahrzehnts«, 1919 wohl gar, zu einer Zeit des allgemeinen Sittenund sonstigen Verfalls, von dem ja nicht nur das Haus Sacher betroffen wurde, sondern auch das wesentlich länger am hiesigen Platz etablierte Haus Habsburg. Vielleicht hat die alte Frau Sacher sich damals nicht mehr um diese Dinge gekümmert, und niemand andrer war da, den Verfallserscheinungen zu wehren und mit drohend erhobenem Kochlöffel ein »Principiis obsta!« zu donnern, als der Chef-Mehlspeiskoch eines Tages beim Abschmecken der Tortenmasse das Gesicht verzog, sich mit den Worten: »Heut is's aber bißerl trocken ausg'fallen!« an seinen Aßistenten wandte und in einer plötzlichen Eingebung hinzufügte: »Wißen S' was? Schneiden S' es in der Mitte auf und geben S' eine Lage Marmelad' dazwischen!« Möglich wär's. Die Geschichte kennt Beispiele umwälzender Neuerungen, die auf ähnliche Art zustande kamen. Jedenfalls muß sich die verwirrte Nachwelt damit abfinden, daß es zwei Original-Sachertorten gibt, eine ursprüngliche und eine spätere, eine aus dem 19. Jahrhundert und eine aus dem zweiten Jahrzehnt des 20., und daß - was bei Originalen nicht just die Regel ist - das spätere den Vorrang vor dem früheren hat, ja die Original-Existenz des früheren geradezu auslöscht. Dies aber war es eigentlich, wogegen die Konditorei Demel zu Felde zog und, wie es heißt, noch weiter zu Felde ziehen wird, bis zum Obersten Gerichtshof. Ihr geht es, so dünkt mich, nicht um Wollust noch Gewinnst, sondern um eine historische Wahrheit, die mit der kulinarischen identisch ist. Denn die Konditorei Demel - das kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden - kämpft ja gar nicht darum, ihre Sachertorte als »original« zu bezeichnen. Sie wünscht nur, daß diese Bezeichnung auch der Sacherschen Sachertorte vorenthalten bleibe. Sie kämpft dagegen, daß von zwei Originalen gerade das spätergeborene als das einzige gelten soll. Sie will das Recht der Erstgeburt nicht um eine Marmeladenschicht verkauft sehen. Es ist ein klaßischer Fall von l'art pour l'art, von marmelade pour marmelade. Es ist - und damit wird der scheinbare Anachronismus im höchsten Grade zeitgemäß - eine ideologische Auseinandersetzung. Geschäftlich ist weder die Firma Demel auf den Verkauf der Sachertorte noch die Firma Sacher auf die Verwendung des »0riginal«-Etiketts angewiesen. Die überwiegende, meist aus dem Ausland kommende Menge derer, die auf den Genuß von Sachertorte erpicht sind, halten die von Sacher erzeugte sowieso für das Original und suchen bei Demel sowieso etwas andres als Sachertorten. |
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Luisa Rezepte . Anna's Übersicht